Der Wallfahrtsort Marienbaum
Kriegszeiten sind Notzeiten
Not lehrt beten und so sind Notzeiten auch Zeiten der Wallfahrt. Die Menschen machen sich mit ihren Sorgen und Nöten auf zu Stätten, wo, wie sie glauben und vertrauen, Gott Zeichen der Nähe und Hilfe gesetzt hat. In solchen Zeiten entstand die Bocholter Wallfahrt nach Marienbaum, die seit 1575 durchgeführt wird. Heute ist die Wallfahrt nach Marienbaum in die Wallfahrt nach Kevelaer integriert.
Über die Entstehung der Wallfahrt um 1430 erzählt die Legende, dass ein armer Schafhirt, der von einer unheilbaren Krankheit befallen war, auf innere Erleuchtung hin in einer treppenförmig gewachsenen Eiche ein Muttergottesbild fand, es verehrte und geheilt wurde. Der Ort des Geschehens – nur von wenigen Bauern bewohnt – hieß ursprünglich „Broechem”, erhielt aber nach der treppenförmigen Eiche im Volksmund bald den Namen „An gen Trappenboom”. Die Nachricht von der Heilung des Schafhirten bewog viele Kranke und Gebrechliche, ihre Zuflucht zur Muttergottes von Marienbaum zu nehmen und Hilfe von ihr zu erbitten. So enstand die Wallfahrt, die heute noch besteht. 1438 – 1441 wurde für das Gnadenbild eine Kapelle gebaut; man fällte die Treppeneiche und errichtete an ihrer Stelle den Hochaltar, indem das Gnadenbild zur Verehrung aufgestellt wurde.Das Gnadenbild ist eine etwa 40 cm hohe Madonnenfigur aus Sandstein. Sie gilt als eine hervorragende Arbeit der kölnischen Schule aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Maria trägt den Jesusknaben auf dem linken Arm und wendet ihm ihr Antlitz zu. In der rechten Hand hält die Madonna das Zepter. Mutter und Kind tragen Kronen.
Das Klever Fürstenhaus war dem Gnadenbild und seiner Verehrung sehr zugetan. Das brachte man durch Zuwendungen und Schenkungen zum Ausdruck. Die Herzogin von Kleve, Maria von Burgund, gründete bei der Kapelle „An gen Trappenboom” ein Doppelkloster für Mönche und für Ordensfrauen nach dem von der hl. Birgitta von Schweden gestifteten Erlöserorden. 1460 war der Bau vollendet.
Die Wallfahrt, die schon bald nach 1430 eingesetzt hatte, entwickelte sich in den folgenden Zeiten und wuchs immer weiter. Die Zahl der Pilger und die Zahl der Prozessionen aus der näheren und weiteren Umgebung nahm zu. Kriegszeiten, Unsicherheit auf Wegen und Straßen durch gewalttätige Söldnerscharen brachten manche Beeinträchtigung. Die Wallfahrt überwand aber alle Schwierigkeiten. 1636 und 1637 wütete eine gewaltige Pest am Niederrhein. In Scharen kamen die Menschen zum Gnadenbild in Marienbaum, zur „Zuflucht der Sünder” um „Hilfe und Trost bei der allerseligsten Mutter zu suchen”.
Das Gnadenbild „Maria, Zuflucht der Sünder” hat auch heute noch seinen Platz auf einem Altar in der Pfarrkirche. In der Wallfahrtszeit von August bis Oktober kommen aus der näheren und weiteren Umgebung Prozessionen nach Marienbaum.
Die Wallfahrt nach Marienbaum verlor an Bedeutung, als 1642 der Gnadenort Kevelaer aufblühte und Zentrum einer ausgedehnten und umfangreichen Wallfahrt wurde.
1575 soll die Wallfahrt von Bocholt nach Marienbaum ihren Anfang genommen haben. So sagt die mündliche Überlieferung. Ein schriftlicher Nachweis für dieses Datum liegt aber bis heute nicht vor. Ob die Wallfahrt dann Jahr für Jahr gezogen ist, auch darüber gibt es keine gesicherten, zuverlässigen Angaben. Wahrscheinlich werden in ge-
fährlichen Kriegsjahren, als Söldnerscharen Straßen und Wege unsicher machten, manche Wallfahrten nicht gehalten worden sein. Diese frühen Wallfahrten werden nicht in größeren geschlossenen Prozessionen, sondern in kleineren Pilgergruppen gezogen sein. Die Fußprozession Bocholt-Kevelaer hält an dem Datum von 1575 fest. So beging man mit gesonderten Jubiläumswallfahrten im Jahr 1925 das 350jährige und im Jahr 1975 das 400jährige Bestehen der Wallfahrt nach Marienbaum, jedes mal mit großer Beteiligung. Über beide Jubiläumsfeiern in Marienbaum enthält die Chronik der Fußprozession einen ausführlichen Bericht.
Später wurde die Wallfahrt von Bocholt zu den regelmäßig jährlich nach Marienbaum kommenden Wallfahrten gezählt. Erstmalig nachweisbar ist die Bocholter Wallfahrt 1716, am Tag nach Mariä Himmelfahrt durch den Bericht über eine wunderbare Heilung, die an der Bocholter Pilgerin Elisabeth ter Weide an diesem Tag in der Klosterkirche Marienbaum geschah. Dieser Bericht befindet sich im Historischen Archiv des Erzbistums Köln.
Nach der mündlichen Überlieferung soll in den ersten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts die Bocholter Wallfahrt nach Marienbaum auf Kevelaer umgestellt worden sein. Zunächst zogen einzelne Pilger oder kleinere Gruppen weiter nach Kevelaer. Als die Zahl größer wurde, stellte man sich auf Kevelaer ein. Nach der Überlieferung war diese Entwicklung 1733 abgeschlossen. Dieses Jahr gilt seit langem und auch heute noch als der Beginn der Kevelaer-Wallfahrt.
Die Verbundenheit der Fußprozession mit dem Wallfahrtsort Marienbaum blieb aber durch alle folgenden Zeiten bis heute erhalten. Die Wallfahrt zieht auf dem gewohnten Pilgerweg bis Marienbaum. Sowohl auf dem Hin- als auch auf dem Rückweg kehrt sie in die Marienbaumer Wallfahrtskirche ein, grüßt in einer Andacht das Gnadenbild „Maria, Zuflucht der Sünder” und opfert ihm auf dem Hinweg eine Kerze. Früher, als die Fußprozession zweieinhalb Tage unterwegs war (1853 – 1918), wurde am Samstagabend in Marienbaum die erste Station gemacht und dort übernachtet und am Sonntagmorgen früh der Pilgerweg nach Kevelaer fortgesetzt.